Aktualisiert am6. März 2022
9Minuten Lesezeit
MiriamMüller,Medizin-Redakteurin
kanyo®Gesundheitsnetzwerk
Der Begriff „Leaky Gut" stammt aus dem Englischen und bedeutet durchlässiger Darm. In den letzten Jahren ist das wissenschaftliche Interesse an Störungen der Darmbarriere als Ursache für zahlreiche Erkrankungen – auch weit über den Darm hinaus – gestiegen: Einige Experten sehen beispielsweise einen Zusammenhang zwischen einer undichten Darmwand und Multipler Sklerose oder Diabetes mellitus. Eine klare Definition sowie wissenschaftliche Belege für das Leaky-Gut-Syndrom fehlen jedoch bislang. Informieren Sie sich über den aktuellen Forschungsstand!
Überblick
- Auslöser
- Symptome
- Diagnose
- Therapie
- Ernährungstipps
- Hausmittel
- Hintergrund
Häufig gestellte Fragen zum Leaky-Gut-Syndrom:
Was ist das Leaky-Gut-Syndrom?
Der vor allem in der Alternativmedizin gebräuchliche Begriff „Leaky Gut“ bedeutet übersetzt „löchriger Darm“. Es ist bisher noch nicht erwiesen, dass es sich bei einem Leaky-Gut-Syndrom tatsächlich um eine eigenständige Erkrankung handelt. Durch die Störung der Darmbarriere sollen jedoch schädliche Stoffe und Krankheitserreger leichter in die Blutbahn gelangen können. Die Folgen sind dann möglicherweise entzündliche und allergische Reaktionen des Körpers.
Wie entsteht ein durchlässiger Darm?
Es werden viele Ursachen diskutiert. Infrage kommen etwa eine ungesunde Ernährung oder Erkrankungen des Verdauungstraktes.
Welche Symptome können bei einem Leaky-Gut-Syndrom auftreten?
Mit einem „undichten Darm“ werden nicht nur Magen-Darm-Beschwerden, sondern unter anderem auch Unverträglichkeiten, Hauterkrankungen (wie Neurodermitis) oder psychische Symptome in Verbindung gebracht.
Wie wird das Leaky-Gut-Syndrom diagnostiziert?
Alternativmediziner bieten verschiedene Blut-, Stuhl- und Urinuntersuchungen (zum Beispiel einen Lactulose-Mannitol-Test) an. Diese können jedoch nur Hinweise liefern. Zudem ist bisher umstritten, welche Konsequenzen ein solcher Befund hat.
Ist ein Leaky Gut heilbar?
Ja, geschädigte Darmwände können sich wieder regenerieren und ausheilen. Voraussetzung ist jedoch, dass auslösende Faktoren gemieden werden.
Auslöser: Wie entsteht ein durchlässiger Darm?
Die Darmwand wird durch das Zusammenspiel der drei Schutzkomponenten Schleimhaut, Darmflora und darmassoziiertes Immunsystem geschützt. Aufgrund des komplexen Schutzmechanismus sind die Ursachen für einen undichten Darm sehr vielfältig und auch noch nicht vollständig geklärt. Vermutet wird jedoch, dass unter anderem folgende Faktoren Einfluss auf die Darmbarriere haben können:
- chronischer Stress1
- ungesunde Ernährung (zuckerhaltige Lebensmittel, hoher Alkohol- und Nikotinkonsum2)
- Medikamente wie Antibiotika oder nicht-steroidale Antirheumatika (zum Beispiel Ibuprofen)
- chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa3
- Unverträglichkeiten (zum Beispiel Lactose- oder Fruktoseintoleranz)
- Pilze, Viren oder Parasiten
- Dysbiose (Ungleichgewicht der Darmflora)
Ist die Darmwand geschädigt, gelangen womöglich unverdaute Nahrungsbestandteile oder krankmachende Darmbakterien ins Blut und verursachen Entzündungen im ganzen Körper. Zudem besteht der Verdacht, dass ein Leaky Gut die Entstehung von Unverträglichkeiten begünstigen könnte. Die übermäßige Immunreaktion richtet sich gegen Nahrungsbestandteile, die bisher eigentlich gut vertragen wurden.
Begriffserklärung: Die Medizin ist sich bisher noch nicht einig darüber, ob das Leaky-Gut-Syndrom eine eigenständige Erkrankung oder nur das Symptom anderer Krankheiten ist. Alternativ finden sich in einigen wissenschaftlichen Quellen ebenfalls die Bezeichnungen Permeabilitätsstörung, Barriere-Störung oder Tight-Junction-Störung.4
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Welche Symptome sind bei einem „leaky“ Darm typisch?
Mit dem Leaky-Gut-Syndrom werden viele verschiedene Symptome verbunden. Ob diese tatsächlich durch einen durchlässigen Darm ausgelöst werden oder andere Ursachen haben, ist oftmals nur schwer feststellbar.
In Diskussion stehen jedoch folgende Beschwerden und Erkrankungen:
- Durchfall
- Blähungen
- Verstopfung
- Reizdarmsyndrom
- ständige Müdigkeit
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Stimmungsschwankungen und Depressionen
- Hautprobleme
- Gelenk- und Muskelschmerzen
- Asthma
Folgen von chronischen Entzündungen im Darm sind zudem häufig Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie Laktose- oder Histaminintoleranz. Ebenso sehen einige Forscher eine Verbindung zu Multipler Sklerose, Typ-1-Diabetes, Zöliakie und Hashimoto-Thyreoiditis (Entzündung der Schilddrüse). Ausreichend wissenschaftliche Nachweise existieren jedoch nicht.
Gewichtszunahme durch Leaky-Gut-Syndrom? Bisher ist noch nicht ausreichend erforscht, ob ein Leaky Gut Auswirkungen auf das Gewicht haben kann. Es gibt jedoch Studien, die einen Zusammenhang zwischen Übergewicht und einem Ungleichgewicht der Darmflora feststellen konnten.5 Da eine solche Dysbalance mit als eine Ursache für das Leaky Gut diskutiert wird, könnte es auch eine Verbindung zwischen dem Leaky Gut und dem Gewicht geben. Ähnlich der Grundsatzfrage was vorher da war, die Henne oder das Ei, ist nicht ganz sicher, ob eine Veränderung der Darmflora tatsächlich die Ursache oder die Folge einer Gewichtszunahme durch eine ungesunde Ernährung ist. Ebenso können Insulinresistenzen und Störungen des Stoffwechsels – die ebenfalls mit dem Leaky Gut assoziiert werden – Gewichtsveränderungen verursachen.6
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Wie wird das Leaky-Gut-Syndrom diagnostiziert?
Da das Leaky-Gut-Syndrom bisher nicht als eigenständige Erkrankung eingestuft wird, ist keine eindeutige Diagnose möglich. Vor allem in der Schulmedizin ist der durchlässige Darm bisher noch wenig präsent.
Es gibt jedoch Tests, die Hinweise auf einen möglichen durchlässigen Darm liefern. Solche speziellen Tests werden meist von Alternativmedizinern angeboten.
Folgende Diagnoseverfahren können zum Einsatz kommen:
- Alpha-1-Antitrypsin
- Zonulin-Test
- Lactulose-Mannitol-Test
Alpha-1-Antitrypsin-Test
Das Enzym Alpha-1-Antitrypsin wird bei Entzündungen im Körper vermehrt in Leber-, Lungen- und Darmzellen produziert. Liegt der Wert, der über eine Stuhluntersuchung bestimmt wird, über 40 Milligramm pro Deziliter, ist das ein Indikator für eine erhöhte Darmdurchlässigkeit.
Allerdings können auch chronische Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn sowie Allergien, Nahrungsunverträglichkeiten, Medikamente oder salicylhaltige Lebensmittel (wie Paprika, Curry oder Peperoni) den Wert ansteigen lassen. Der Labortest kostet zwischen 11 und 15 Euro und wird – sofern kassenärztlich angeordnet – von gesetzlichen Krankenkassen übernommen.9
Zonulin-Test
Zonulin ist das Protein, das bei der Regulierung der Tight-Junctions (Schleusenwärter zwischen den Schleimhautzellen des Darms) eine wesentliche Rolle spielt und daher als verlässlicher Marker für die Durchlässigkeit des Darms gilt. Der Nachweis kann sowohl über das Blut als auch über eine Stuhlprobe erfolgen.
Je höher der ermittelte Wert, desto größer die Wahrscheinlichkeit einer andauernd erhöhten Permeabilität (Durchlässigkeit). Im Stuhl sollten die Werte unter 78 Nanogramm pro Milliliter, im Blutserum unter 48 Nanogramm pro Milliliter liegen. Der Test wird meist nicht von gesetzlichen Krankenkassen erstattet und kostet zwischen 30 und 45 Euro.7
Bitte beachten: Unmittelbar vor dem Test sollten Sie keine glutenhaltigen Nahrungsmittel (beispielsweise mit Weizen, Dinkel, Roggen oder Hafer) zu sich nehmen, da Gluten die Zonulin-Werte ansteigen lassen und das Ergebnis verfälschen kann.
Lactulose-Mannitol-Test
Eine weitere Diagnosemöglichkeit bietet der Lactulose-Mannitol-Test. Patienten müssen auf nüchternem Magen eine Lösung mit Lactulose und Mannitol (etwa 100 Milliliter) trinken, nach einer Stunde noch einen Liter Wasser oder Tee zu sich nehmen und den Urin in den nächsten vier Stunden in einem Behälter sammeln.8
Bei Mannitol und Lactulose handelt es sich um zwei Zucker, die nicht im Dünndarm verstoffwechselt werden. Mannitol wird zum Großteil über die Darmschleimhaut und Lactulose (aufgrund größerer Moleküle) nur in geringen Mengen von der Darmschleimhaut aufgenommen.
Beide werden mit dem Urin wieder aus dem Körper ausgeschieden. Ist die Darmwand durchlässiger als sie sein sollte, finden sich in der Urinprobe vermehrt Mannitol und Lactulose. Ebenso legt ein unübliches Verhältnis der beiden Zucker einen Verdacht auf ein Leaky-Gut-Syndrom nahe.
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Wie sieht die Behandlung bei einem Leaky-Gut-Syndrom aus?
Zunächst die gute Nachricht: Ein Leaky-Gut-Syndrom ist behandelbar: Die Darmschleimhaut besitzt die Fähigkeit zur Regeneration und die Durchlässigkeit der Darmwand kann wieder gemindert werden. Genauso umstritten wie das Leaky-Gut-Syndrom selbst, sind aber auch die Behandlungsmethoden.
Damit sich die Darmschleimhaut wieder erholen kann, wird meist empfohlen, unverträgliche Lebensmittel und Stress zu vermeiden. Naturheilmediziner raten zudem zu einer Darmsanierung und anschließendem Heilfasten beziehungsweise speziellen, darmschonenden Diätformen.
Eine medikamentöse Therapie, mit der sich das Syndrom ursächlich behandeln lässt, existiert nicht. Unter Umständen verschreibt der Arzt jedoch Diabetes-Medikamente, da einigen Studien eine positive Wirkung auf die Darmbarriere vermuten lassen. Bei einer Infektion mit Pilzen ist zudem der Einsatz von sogenannten Antimykotika (pilzabtötende Substanzen) möglich.
Probiotika sollen darüber hinaus dazu beitragen, dass Gleichgewicht der Darmflora wiederherzustellen und somit die Durchlässigkeit des Darms zu verringern. Entsprechende Präparate sind rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Die zugeführten „guten“ Mikroorganismen können sich an der Darmwand ansiedeln, um die Anhaftung von Krankheitserregern negativ zu beeinflussen. Patienten sollten die Einnahme mit einem Therapeuten abstimmen.
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Welche Ernährung ist bei einem Leaky-Gut-Syndrom sinnvoll?
Bei der Behandlung eines „löchrigen Darms“ ist in erster Linie die Mitwirkung des Patienten gefragt. Denn für einen gesunden Darm spielt vor allem die Ernährung eine wichtige Rolle.
Damit sich das Verdauungsorgan wieder regenerieren kann, sollten Betroffene weitgehend auf Folgendes verzichten:
- Zucker und Weißmehl
- Rohkost
- große Portionen (besser sind mehrere kleine über den Tag verteilt)
- Genussmittel wie Alkohol, Kaffee und Nikotin, da diese die Darmschleimhaut zusätzlich schädigen können
Beim Leaky Gut ist hingegen leichte Schonkost angesagt, mit der der Darm gut zurechtkommt. Als verträglich haben sich beispielsweise folgende Lebensmittel erwiesen:
- Reis (kein Vollkorn)
- glutenfreie Nudeln (kein Vollkorn)
- geschälte Kartoffeln
- Hirse, Buchweizen
- gekochtes oder gedünstetes Gemüse9
Tipp: Ein Ernährungstagebuch, in dem alle Speisen und aufgetretenen Beschwerden genau protokolliert werden, kann dabei helfen, herauszufinden, welche Lebensmittel eventuell weniger gut vertragen werden. Eine weitere Möglichkeit ist eine Ernährungstherapie, bei der ein Ernährungsberater Patienten individuelle Ratschläge und Rezepte an die Hand gibt.
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Welche Hausmittel helfen bei einem Leaky-Gut-Syndrom?
Zusätzlich zur ärztlichen Therapie und einer Ernährungsumstellung können auch Hausmittel zur unterstützenden Behandlung in Betracht gezogen werden. Bei Magen-Darm-Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Blähungen eignen sich oft klassische Tipps wie Bauchmassagen oder Entspannungsbäder.
Gut für den Darm sind darüber hinaus Leinsamen, Chia-Samen und Flohsamenschalen. Sie regen die Verdauung an und enthalten Schleimstoffe, die sich schützend auf die Darmschleimhaut legen. Alternativ eignen sich auch Heilpflanzen (zum Beispiel Salbei, Spitzwegerich, Eibisch- oder Süßholzwurzel), die am besten in Form von Tees einzunehmen sind und ebenfalls die Schleimproduktion fördern.
Heilerde soll darüber hinaus Gifte im Darm aufnehmen und sie schonend abtransportieren. Dies trägt unter Umständen dazu bei, dass weniger Schadstoffe in die Blutbahn gelangen. Granatapfel und Knoblauch sollen hingegen hilfreich sein, wenn eine Infektion mit Hefepilzen die Ursache des Leaky-Gut-Syndroms ist.
Fazit: Auch wenn sich die Medizin noch immer uneinig ist, ob das Leaky-Gut-Syndrom überhaupt existiert beziehungsweise ob es eine eigenständige Krankheit oder eine Folge verschiedener Ursachen ist, so tragen eine gesunde und ausgewogene Ernährung sowie ausreichend Bewegung auf jeden Fall zu allgemeinem Wohlbefinden und einer gesunden Verdauung bei.
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Hintergrundwissen: So funktioniert die Darmbarriere
Der Darm ist mit einer Oberfläche von 400 bis 500 Quadratmetern das größte innere Organ des Menschen.10 Diese riesige Kontaktfläche ist nötig, damit Nährstoffe effektiv ins Blut aufgenommen werden können (Resorption), aber sie bietet auch eine enorme Angriffsfläche für etwaige Krankheitserreger und schädliche Stoffe.
Das bedeutet, dass die Darmwand zwei schwierige Aufgaben zu erfüllen hat: Einerseits muss sie durchlässig genug sein, damit Nährstoffe und Flüssigkeit aus dem Nahrungsbrei in den Blutkreislauf übergehen können. Andererseits sollte sie Viren, Bakterien und Co. zurückhalten (Schutzmechanismus) – deren Eliminierung wird dann von den Abwehrzellen des Darmimmunsystems übernommen.
Es wird davon ausgegangen, dass diese Darmbarriere beim Leaky Gut gestört ist. Um zu verdeutlichen, was das genau bedeutet, sollen die drei Verteidigungslinien des Darms näher erläutert werden:
- Darmflora
- Darmschleimhaut
- darmassoziiertes Immunsystem
Darmflora – natürliche Besiedelung des Darms
Die Schleimhaut des Darms ist mit unterschiedlichen – zum größten Teil nützlichen – Bakterienstämmen besiedelt (Darmflora). Diese konkurrieren mit Krankheitserregern und hindern sie unter anderem daran, an der Darmwand „anzudocken“. Wird das empfindliche Gleichgewicht der im Darm lebenden Mikroorganismen gestört, kann es zu einer Dysbiose kommen und die natürliche Barriere des Darms kann geschwächt werden.
Darmschleimhaut und ihre Schleusenwärter
Eine wichtige Schutzfunktion haben die eng nebeneinanderliegenden Zellen der Darmschleimhaut (Mukosa). Sie werden durch Verbindungen aus Membranproteinen, sogenannten „Tight Junctions“, miteinander verhakt und bilden so eine dichte physikalische Barriere. Für die Regulation ist ein bestimmtes Protein (Zonulin) verantwortlich.
Es sorgt dafür, dass sich diese „Schleusen“ bei Bedarf öffnen und wieder schließen. Kommt es in dieser Signalkette zu einer Störung, wird der Darm durchlässig und unverdaute Nahrungsbestandteile, Bakterien, Toxine und Stoffwechselprodukte gelangen durch die geschädigte Darmschleimhaut in den Blutkreislauf, was verschiedene Beschwerden und Krankheiten zur Folge haben kann.
Darmassoziiertes Immunsystem: Abwehr aus dem Bauch heraus
In der Darmschleimhaut befinden sich etwa 70 Prozent der Abwehrzellen unseres Immunsystems.11 Sie haben eine wichtige Aufgabe bei der Neutralisation von unerwünschten Eindringlingen. Gleichzeitig ist das darmassoziierte Immunsystem mit anderen Teilen der körpereigenen Abwehr vernetzt und schützt zusammen mit diesen vor Krankheitserregern und Co.
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